Die Obstdiebin - oder - Einfache Fahrt ins Landesinnere by Peter Handke

Die Obstdiebin - oder - Einfache Fahrt ins Landesinnere by Peter Handke

Autor:Peter Handke
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Suhrkamp Verlag
veröffentlicht: 2017-01-20T05:00:00+00:00


Der kurdische Kebabkoch hatte das Fernsehgerät umgeschaltet zu einem Sportkanal, wo, nun ganz ohne Ton, ein Fußballspiel aus Afrika übertragen wurde, Elfenbeinküste: Mali. Ziemlich niedrig erschien das den Schirm füllende Stadion, jeder Zuschauerplatz besetzt, auch zweifach, dazu das Bauschen der farbigen Gewänder im Elfenbeinküstenwind oder auch im Aufspringen, jetzt der Küstenleute, jetzt der Mali-, der Binnenlandleute, von den Rängen. Und über diesem niedrigen afrikanischen Stadion der so mächtige wie zarte afrikanische Himmel! Valter hatte eine Aufmerksamkeit für das Spiel zuerst eher nur vorgetäuscht, um sich vor den beiden jungen Frauen unsichtbar zu machen. Dann war er mit den Augen ganz beim Spiel und beim Azurblau des Afrikahimmels. Ob er zugleich auch Ohren für das Gespräch der beiden früheren Mitschülerinnen hatte, ist aus der Geschichte der Obstdiebin nicht bekannt. Es sprach im übrigen nur die andere, die mit dem ehemals scheinbar so bösen Blick.

Sie erzählte von den Männern, mit denen sie in den sechs, sieben Jahren nach dem Lycée gewesen war. Sie war nicht mit einigen, nicht mit mehreren, sie war mit vielen gegangen, oder, in ihrem Französisch, »je suis sorti avec …«, sie war mit ihnen ausgegangen. Sie war im Lauf der Zeit mit so vielen Männern ausgegangen, daß sie diese längst nicht mehr zählte – oder sie hatte sie von Anfang an ungezählt gelassen. Sie redete von keinem Mann im einzelnen, beschrieb keinen im besonderen, erwähnte kein einziges Detail. Dabei war ihre Stimme, im Unterschied zu früher, da sie, wenn sie sich überhaupt hören ließ, beleidigend ton- und leblos leierte, eine, die mit dem, was sie jeweils zu zweit erlebt hatte, weiterhin mitvibrierte. Es war eine herzliche Stimme, und der Rhythmus, in dem sie sprach, war ein selbstbewußter, der Akzent, mit dem sie das Erlebnis – es waren keine Erlebnisse, es war das Erlebnis – hervorrief, hatte so gar nichts Lokales, vor allem nicht das schlampig Verschliffene und Gicksende mancher junger Hauptstädterinnen. Es war der Akzent des Stolzes. Sie brauchte sich der Unzahl der Männer, mit denen sie ausgegangen, will sagen, bei denen sie gelegen war und, in gleicher Weise, der Mann bei ihr, nicht zu schämen. Keinerlei Schatten einer Schuld empfand sie, strahlte statt dessen förmlich von Stolz.

Das kam daher, daß sie mit dem Mann – wie sie das erzählte, waren die Vielen Einer, ein Einziger, der Eine – zusammen etwas erlebte, das nur mit ihm, dem Einen da, dem Einen, jetzt erlebbar war, und zwar bevor sie zwei dann leibhaftig zusammenfanden. Kein Wort von dem Akt, oder wie immer das nennen. Dem Tonfall nach, in welchem sie das, was vorausging, evozierte, war dieses schon das Erlebnis, war ein Ereignis (gute und schöne deutsche Sprache), und was folgte, war kein Akt, sondern? – das Wort dafür fehlte, aber das tat nichts zur Sache. Entscheidend war das, was vorher war, und das war, wie sie es jetzt die Freundin hören ließ, immer eine gemeinsame Begeisterung, in gleicher Weise, simili modo, die des Mannes und die ihre, der Frau. Begeisterung worüber? Begeisterung aneinander, des einen an der andern, der andern an dem einen? Die kam erst später, oft viel später, zuletzt, zu guter Letzt.



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